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Schwedenzeit 1648-1719

Weg in die Moderne?



1 | Eine Königin regiert die Provinz ...



Nach Übertragung der nunmehr weltlichen Herzogtümer Bremen und Verden als ewige Reichslehen an die schwedische Krone im Westfälischen Frieden von 1648 musste ein verfassungsrechtlicher Rahmen für die neuen Herrschaftsverhältnisse geschaffen werden. Die schwedische Königin war als Erbherrscherin auch Herzogin von Bremen und Verden und konnte die beiden Reichsfürstentümer als Provinzen in ihr Königreich einbeziehen. Der von Königin Christina unterschriebene und besiegelte Landtagsrezess bildete für lange Zeit sozusagen das Grundgesetz des Herzogtums Bremen. Die Landstände bekamen zwar ihre sozialen und wirtschaftlichen Privilegien bestätigt, politisch besaßen sie allerdings nur noch eine beratende Funktion. Das Steuerbewilligungsrecht für bestehende Abgaben blieb zwar erhalten, wurde jedoch durch die viel bedeutendere und direkt an die Krone zu zahlende Kontribution in den Schatten gestellt. Die Stände waren auch in ihrer Zusammensetzung neu aufgestellt, da die Geistlichkeit als erster Stand im Rahmen der Säkularisation weggefallen war und die Stadt Bremen gegen den Widerstand Schwedens 1646 die Reichsunmittelbarkeit erhalten hatte. Es blieben also nur noch die jeweiligen Ritterschaften sowie die beiden Städte Stade und Buxtehude bzw. Verden übrig. Zu den alteingesessenen Rittern gesellten sich noch die neu von Schweden belehnten Donatare. Dies waren meist verdiente landfremde Offiziere, Zivilbeamte, Diplomaten oder andere hohe Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Verdienste mit oftmals großen Ländereien, Gütern und Einkünften ehemals geistlichen, aber auch weltlichen Ursprungs, darunter ganze Ämter, beschenkt oder beliehen wurden.
Quellen

Hintergrund: Porträt Königin Christina von Schweden, Sébastien Bourdon 1653, Wikimedia

Unten: Landtagsrezess 1651, NLA ST, Rep. 1 Nr. 2296

... gibt ihr eine Ordnung ...

Die am 20. Juli 1652 erlassene Regierungsordnung war die logische Folge des vorher verhandelten Landtagsrezesses und regelte für die Schwedenzeit (und z. T. auch darüber hinaus) die Verwaltung der Herzogtümer Bremen und Verden. Hier wurde nicht nur die Union der alten Ritterschaft mit den Donataren festgelegt, die alten Gerichte (darunter das bremische Hofgericht) bestätigt, sondern auch vor allem neue Verwaltungszweige geschaffen, so das Amt des Gouverneurs, der als Statthalter der Königin die Leitung der Regierung in den beiden Herzogtümern übernahm. Er stand auch dem Regierungskollegium vor, das neben ihm aus dem Kanzler und zwei geheimen Räten bestand. Als Angestellte der Regierung fungierten ein Geheimer Sekretär, ein Archivar, ein Registrator und zwei Kanzlisten. Außerdem gab es die neu geschaffene Justizkanzlei, die für das Gerichtswesen zuständig war und aus dem Kanzler und vier Justizräten bestand. Für Berufungen stand das 1653 in Wismar begründete Tribunal zur Verfügung, das für alle schwedischen Provinzen im Reich als letzte Instanz fungierte und 1657 eine eigene Ordnung erhielt. Das ständische Hofgericht übernahm vor allem die Rechtsprechung in zivilen Prozesssachen, während sich die Justizkanzlei vorwiegend um die Kriminalsachen in den Herzogtümern zu kümmern hatte. Eine lange hinausgezögerte Hofgerichtsordnung von 1675 regelte die Bedingungen im Einzelnen. Schließlich ist als wichtige Neuerung noch das im Jahr 1652 begründete Konsistorium zu benennen. Durch die Säkularisation wurde nun auch eine königliche Aufsichtsbehörde nötig, die sich um das gesamte Kirchenwesen inklusive der religiösen Lehre sowie der Aufsicht über die Schulen, das Armenwesen und die Stiftungen zu kümmern hatte. Eine eigene Kirchenordnung wurde trotz Ankündigung in der Regierungsordnung in schwedischen Zeiten nie erlassen. Dafür entstanden im Zuge der stärkeren Zentralisierung und Reglementierung nach 1680 eine Policey-, Holz-, Jagd- und Deichordnung, die weit über die Schwedenzeit hinaus wirksam waren.

Quellen

Oben: Sammlung von Ordnungen

Darunter: Tribunalsordnung, NLA ST, GHV IV B 034

Darunter: Hofgerichtsordnung, NLA ST, GHV IV B 075

Unten: Polizei-, Deich-, Holz- und Jagdordnung, NLA ST, GHV IV B 075





... und einen Archivar

Er war der erste hauptamtliche staatliche Archivar im Elbe-Weser-Dreieck, der auch den Titel „Archivarius“ tragen durfte: Reinhold Blume (oder: Bluhm, Bluhme), Sohn eines Hamburger Kaufmanns. Blume studierte seit 1637 in Rostock und Leiden und ab 1642 in Helmstedt, wo er auch promovierte. Nach der Helmstedter Zeit wurde Blume als Erzieher der jüngeren Söhne des Grafen Ulrich II. von Ostfriesland (1605-1648) in Aurich tätig. Nach dem Tod des Grafen Ulrich II. bekleidete er in den Folgejahren die Position des Hauslehrers für Cordt Christoph (1634-1673) und Otto Wilhelm von Königsmarck (1639-1688), die Söhne des Grafen Hans Christoph von Königsmarck (1605-1663), des schwedischen Gouverneurs in den Herzogtümern Bremen und Verden. Von dort war der Weg zum Archivarius nicht mehr weit, wie das vorliegende Dokument – seine Anstellung als Archivar in schwedischen Diensten, unterschrieben von Königin Christina (1626-1654) – zeigt. Unter Blumes Leistungen ist vor allem sein Urkundenrepertorium hervorzuheben. Blume tat sich in schwedischen Diensten später insbesondere als Gesandter am Reichstag in Regensburg hervor, ehe er nach 1678 wieder in Ostfriesland lebte, wo er auch 1690 starb.
Quellen

Hintergrund: Porträt Reinhold Blume, Schloss Osterburg in Groothusen, Besitz Familie Kempe

Bestallung Reinhold Blume 1653, NLA ST, Rep. 5a Nr. 1614







2 | Eine Königin lässt ihr Land vermessen

Zu Beginn der Schwedenzeit ordnete Königin Christina die Anfertigung einer Landkarte von den Herzogtümern Bremen und Verden an, als ein Macht- und Herrschaftsmittel zur Dokumentierung der Situation und Grenzen des neu erworbenen Gebiets. Der Gouverneur Hans Christoph von Königsmarck beauftragte daraufhin den schwedischen Ingenieurkapitän Johann Gorries (1653 geadelt zu von Gorgas) mit der Vermessung des Landes. Er setzte den Auftrag 1651/52 mit der für schwedische Ingenieure charakteristischen vermessungstechnischen Kompetenz um. Die Zeichnung fertigte 1653 der Ingenieur Johann von Fholderbach. Anfang der 1660er-Jahre wurde die handgezeichnete Karte, die heute in der British Library in London aufbewahrt wird, in Amsterdam beim Verleger Joan Blaeu gestochen und im ‚Atlas Maior‘ veröffentlicht. Das gedruckte Exemplar ist nach Osten ausgerichtet – die Elbe befindet sich am oberen, die Weser am unteren Kartenrand. Die Karte verzeichnet Städte, Dörfer, Adelssitze und Einzelhöfe, Klöster, Kirchspiele, Amtshäuser und Kapellen, Wind- und Wassermühlen sowie Flüsse, Wälder und Moore. Sie ist aufgrund der korrekten Vermessung die erste topographisch genaue Karte zur Elbe-Weser-Region.
Quelle

Hintergrund: Karte der Herzogtümer Bremen und Verden 1653, NLA ST, Dep. 10 K Nr. 10273

Kartusche aus der Karte, NLA ST, Dep. 10 K Nr. 10273



3 | Ein Seemannsleben

Was bedeutete es, „Untertan“ der schwedischen Groß- und Militärmacht zu sein? Statistische Quellen geben erste Informationen zum Leben des Marcus (Marx) Wetegrove, seiner Frau und seiner Söhne. Ihre Heimat war das Kirchspiel Assel im Land Kehdingen (rote Markierung auf der Karte). Marcus Wetegrove, geboren um 1621, war Bootsmann und Kötner, ein Dorfbewohner also, der eine Kate besaß und nur über geringen Landbesitz verfügte. Der Haupterwerbszweig war die Schifffahrt. Seine Söhne Peter und Hinrich, geboren wohl 1663 bzw. 1669 – die Altersangaben variieren –, fuhren ebenfalls zur See. Das Vermögen der Familie war vergleichsweise gering. Die Ehefrau bzw. Mutter Margarethe Wetegrove ist in der Kopfschatzbeschreibung von 1663 als „Marx Wetegroven eines abwesenden Bothsmans Fraw“ verzeichnet. Wie zahlreiche andere Ehefrauen musste sie das alltägliche Leben selbstständig meistern und die Kinder überwiegend allein erziehen. Ihr Mann war in der Regel mit dem Schiff unterwegs. Die statistischen Quellen belegen, dass Marcus Wetegrove und seine Söhne zum Dienst in der Landmiliz und zur Steuer-Zahlung verpflichtet waren.
Quellen

Hintergrund:

Karte der Herzogtümer Bremen und Verden 1653, NLA ST, Dep. 10 K Nr. 10273

Links: Kopfschatzbeschreibung für Assel 1663 (Ausschnitt), NLA ST, Rep. 5a Nr. 3269

Rechts: Mannschaftsrolle aus Assel 1682 (Ausschnitt), NLA ST, Rep. 5a Nr. 3638







Bittschriften an die Regierung in Stade dokumentieren ein tragisches Schicksal der Familie Wetegrove. Auf einer Seereise nach Frankreich wurden im November 1673 sechs Personen aus dem Kirchspiel Assel, darunter Marcus Wetegrove, unweit von England von türkischen Seeräubern gefangen genommen und nach Algier in die „barbarische Schlaverei“ gebracht. Im Juli 1674 bat Margarethe Wetegrove um Bewilligung einer Beisteuer zum Freikauf ihres Mannes, da sie mit ihren Kindern „in armuth und noth“ lebte und keine Mittel besaß, ihren „lieben Mann“, der sich in Algier „in großer Drangsaal und elend“ befand, zu erlösen. Dem Gesuch beigefügt ist ein Attest des Pastors und Propstes zu Assel, Mag. Anthon(ius) Hoffmann, mit dem Wunsch, dass „der Ehrliche u. fromme Mann zu seiner Armen Frawen und Kindern wieder gelangen mag“.

Die Regierung fertigte daraufhin einen Kollektenbrief aus, und es gelang, Marcus Wetegrove aus türkischer Gefangenschaft in Algier freizukaufen, allerdings erst 1682 nach neun Jahren Gefangenschaft mit Hilfe des Hamburger Kaufmanns Verpoorten, der das Lösegeld von 1.300 Mark vorstreckte.

Das Beispiel des Marcus Wetegrove aus Assel zeigt, dass ein „namenloser“ Einwohner der Elbe-Weser-Region anhand der vielfältigen und aussagekräftigen Quellen ein Gesicht erhalten und aus dem Dunkel der Anonymität in die Öffentlichkeit geführt werden kann.

Quellen

Links und rechts oben: Bittschrift von Margarethe Wetegrove an die Regierung 1674, mit Attest des Pastors Hoffmann (NLA ST, Rep. 5a Nr. 4336)

Rechts unten: „Die Stadt Algier“, kolorierter Druck von Bastiaen Stoopendael 1680 (Wikimedia)



4 | Stade braucht einen neuen Bären

Die schwedische Regierung baute als Voraussetzung für die militärische Sicherheit der Herzogtümer Bremen und Verden die Stadt Stade zur Landesfestung aus. Wichtiger Bestandteil waren die hölzernen und steinernen Bären (Verballhornung des französischen Wortes „batardeau“; die wortgetreue Übersetzung lautet „Fangdamm“), von denen es in Stade im späteren 17. Jahrhundert fünf Stück gab (siehe rote Markierungen auf der Karte). Die als Bären benannten Querdämme im Festungsgraben erstreckten sich von einem zum anderen Ufer. Ein Bär kostete viel Geld: 8000-9000 Reichstaler mussten durch die Stadt Stade aufgebracht werden.

Zudem standen ständig Reparaturen an: der steinerne Bär am Salztor musste bereits 1663 repariert werden, brach aber 1696 und 1697 erneut, wodurch der Stadtgraben die Wassermassen nicht halten konnte und das Alte Land überschwemmte. Die königlich schwedische Kasse beteiligte sich deswegen 1698 mit 1000 Reichstalern an den neuen Kosten, von König Karl XII. (1682-1718) persönlich unterschrieben.

Die Bären waren ein wichtiger Bestandteil der Festung, denn sie dienten mehreren Zwecken, nicht nur der Verteidigung. Sie sorgten mit den an ihnen verbauten Schleusen dazu, dass der Wasserstand in den Gräben reguliert werden konnte. So konnte beispielsweise in harten Wintern eine Vereisung und damit eine leichte Eroberung der Stadt durch feindliche Truppen verhindert werden. Zudem waren die Gräben durch die Bären als Querverbindung von Ufer zu Ufer nicht schiffbar. Die Bären wirkten aber auch nach innen: Damit sie nicht zum Überqueren des Grabens genutzt wurden, waren zumindest bei den steinernen, aber auch wesentlich teureren Bären die Mauerkronen spitz ausgeführt und in der Mitte ein Turm mit kegelförmiger Spitze verbaut. So wurden die eigenen Soldaten am desertieren gehindert. Lange gehörten die Bären zum Bild der Stader Festungsanlagen, erst 1781 gab es Pläne die Bären teilweise zu demontieren.
Quellen

Hintergrundbild: Festung Stadt Stade 1680, NLA ST, Dep. 10 K Nr. 10004

Oben: Stadtplan von Stade 1779 (Ausschnitt), NLA ST, Karten Neu Nr. 13652

Darunter: Steinerner Bär in Stade 1706, Stadtarchiv Stade M Fach 26 Nr. 3



5 | Barocke Festkultur

Herrschaftliche Lob- und Dankfeste sowie Trauerfeiern prägten das Leben der Bevölkerung in Bremen-Verden. Anlässe dafür boten Thronbesteigungen und Hochzeiten von Mitgliedern der schwedischen Königsfamilie, Geburten von Kindern des Herrscherpaares, das erfolgreiche Ende eines Krieges, der Regierungsantritt der schwedischen Gouverneure in Stade und Begräbnisse von Herrschern oder anderen bedeutenden Persönlichkeiten. Die Feiern liefen nach einem festgelegten Protokoll oder Ritus ab, im Mittelpunkt standen stets die Gottesdienste in den Kirchen der Elbe-Weser-Region und damit der religiös-sakrale Bereich. Bei größeren Feiern wurden hierzu Kompositionen in Auftrag gegeben, Musik spielte neben der Predigt eine wesentliche Rolle. Im Anschluss konnte es prachtvolle Aufführungen mit Feuerwerk und Salutschüssen geben, es folgten kostbare Bewirtungen durch den Gouverneur mit Gedichtvorträgen. Die Bevölkerung wurde zur Teilnahme aufgefordert. Die Feierlichkeiten im öffentlichen Raum dienten nicht nur dem Vergnügen, sondern auch der Repräsentation und Integration. Sie waren ein Instrument zur Demonstration und Inszenierung von Herrschaft. Die Dank- und Lobfeiern für siegreiche Kriegszüge oder Friedensschlüsse sind durch zahlreiche Druckschriften dokumentiert.
Quellen

Sammlung von Druckschriften NLA ST, Rep. 5a Nr. 643, 814, 815, 1363, 4492





Schweden feiert einen Sieg über die Russen



Aus der Regierungszeit des Generalgouverneurs Nils Gyllenstierna (1648-1720) sind prachtvolle Feste, Musik-, Gedicht- und Theaterdarbietungen in Stade überliefert, die in zahlreichen Druckschriften ihren Niederschlag gefunden haben und vor allem durch siegreiche schwedische Schlachten im Großen Nordischen Krieg (1700-1721) veranlasst wurden. Am 15. Februar 1701 fanden in Stade und überall im schwedischen Königreich großartige Dank- und Freudenfeste anlässlich eines triumphalen Sieges statt, den der schwedische König Carl XII. über die russische Armee unter Zar Peter I. bei Narva im damals schwedischen Estland im November 1700 errungen hatte. Mit dem Sieg unterstrich der schwedische König noch einmal die Vorherrschaft im Ostseeraum. Die Dankfeier in Stade begann mit einem Gottesdienst in der Regierungskirche und endete mit einem prächtigen Feuerwerk, Salutschüssen und einer Illumination der ganzen Stadt. Etliche tausend Zuschauer waren bei diesem imposanten Spektakel anwesend. Der Archivar Johann Hinrich Beye verfasste namens der Stadt Stade anlässlich des Feuerwerks ein Gedicht mit dem Titel:

Jauchtzendes Stade

Archivar Johann Hinrich Beye

„Jauchtzendes Stade/ über den vollkommen= und herrlichsten Sieg/ Welchen Ihro Königliche Majestät/ Carolus der XII, […] Bey dem zugleich erfolgtem Entsatze der Belagerten Stadt Narva, Wider den Meineydigen Mußkowiter Heldenmüthigst befochten/ Als Auff des Herrn General-Gouverneurn, Baron Gyldenstern, Excellence hoher Veranstaltung/ An dem desfals verordnetem Danck=Feste/ War der 15. Febr. jetztlauffenden 1701sten Jahrs/ Nach vollbrachtem Gottesdienste/ Das zu allgemeiner allerunterthänigster Freuden=Bezeugung bereitete künstliche Feuerwerck Am selbigen Abend angezündet/ Wie auch die gantze Stadt mit vielen tausend Freuden=Kertzen erleuchtet worden/“.

Quelle

Titelblatt „Jauchtzendes Stade“ (Ausschnitte), NLA ST, Rep. 5a Nr. 815

Schweden begräbt eine Königin

Nach dem Tod der Königin Ulrica Eleonora (der Älteren) am 26. Juli 1693 wurde im gesamten Königreich Schweden einschließlich seiner deutschen Provinzen eine allgemeine Landestrauer angeordnet. Dazu gehörte das tägliche einstündige Läuten der Kirchenglocken am Mittag und das Verbot jeglicher Musikausübung sowohl im kirchlichen wie weltlichen Bereich. Dazu gehörte auch, dass die Altäre, Kanzeln, Taufsteine und königlichen Stühle in den Kirchen mit schwarzem Tuch (Boye) bekleidet werden mussten. Der schwedische Baumeister beim Bremer Dom, Daniel Sarnighausen, fragte im August 1693 bei der Regierung in Stade an, welches Tuch für die Auskleidung der Domkirche verwendet werden sollte und fügte zur Entscheidungsfindung zwei verschiedene Proben mit Angaben zu Qualität und Preisen bei. Die Regierung ordnete die Verwendung des preiswerteren Tuchs an (Probe Nr. 2).

Quellen

Oben rechts: Portrait Königin Ulrica Eleonora (die Ältere) (1656-1693), David Klöcker Ehrenstrahl 1681, Wikimedia

Unten: Schreiben des schwedischen Baumeisters Daniel Sarnighausen in Bremen an die Regierung 1693, mit Tuchproben, NLA ST, Rep. 5a Nr. 1365

Anlässlich der Beisetzung der verstorbenen Königin Ulrica Eleonora am 23. November 1693 in der Riddarholms-kyrka in Stockholm wurden im gesamten Königreich Schweden Trauerfeiern abgehalten, somit auch in allen Kirchen der Elbe-Weser-Region. Die Trauerfeier in Stade fand in der Etatskirche statt, der alten Klosterkirche St. Marien, die in der Schwedenzeit als Regierungs- und Garnisonskirche genutzt wurde. Beim feierlichen Gottesdienst erklang eine „sehr wol eingerichtete vocal- und instrumental-Trauer-Musique“.

Die Regierung hatte dem Organisten Vincent Lübeck, der seit 1674 an der Stader Ratskirche St. Cosmae tätig war und zudem seit 1690 die Aufsicht über die Orgel in der Etatskirche hatte, und dem Kantor Eobaldus Laurentii den Auftrag für Komposition und Ausführung der Musik erteilt. Das 40 Notenblätter umfassende Aufführungsmaterial umfasst die Kantaten „Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist“ und „Ich hab hier wenig guter Tag“ von Vincent Lübeck sowie den Choral „Christus, der ist mein Leben“ von Joachim Friedrich Haltmeyer, einem Schüler Vincent Lübecks, der 1697 Kantor in Verden wurde. Die Titelseiten sind, ebenso wie die meisten anderen Blätter der einzelnen Vokal- und Instrumentalstimmen, Autographen Lübecks. Die allgemeine Landestrauer endete am 6. September 1695 und damit über zwei Jahre nach dem Tod der Königin Ulrica Eleonora. Erst danach war in den Städten und auf dem Land „das Schlagen auff den Orgeln“ und die Musik generell wieder erlaubt.
Quellen

Oben: Notenblätter zur Kantate „Es ist ein großer Gewinn wer gottselig ist“ von Vincent Lübeck, NLA ST, Rep. 5a Nr. 1366

Unten: Königliche Verordnung zur Aufhebung der Landestrauer 1695, NLA ST, Rep. 5a Nr. 1365





6 | Eine Königin verschenkt ihre Klöster

Im Erzbistum Bremen und im Bistum Verden hatte sich bereits während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Reformation durchgesetzt. Da auch die Schweden lutherischer Konfession waren, änderte sich am Bekenntnisstand der nunmehrigen Herzogtümer nach 1648 also kaum etwas. Anders sah es bei den Klöstern aus: Trotz Reformation hatten in Bremen-Verden neben den drei Domkapiteln (Bremen, Verden, Hamburg) und einigen Kollegiatstiften neun Klöster überdauert: St. Marien in Stade, Osterholz, Lilienthal, Himmelpforten und Neuenwalde waren lutherisch – Harsefeld, Alt- und Neukloster sowie ein großer Teil des Zevener Konvents waren nach wie vor katholisch. Die schwedische Regierung begann umgehend mit der Säkularisierung der Domkapitel, Stifte und Klöster und vergab letztere an verdiente Persönlichkeiten („Donation“). Am Beispiel des hier zu sehenden Benediktinerinnenklosters Altkloster bei Buxtehude lassen sich die allgemeinen Entwicklungen anschaulich demonstrieren. 1648 umfasste es neben der Äbtissin noch 14 Nonnen und 6 Konversen.

Im August 1648 schenkte die schwedische Königin Christina ihrem ehemaligen Erzieher, dem Bischof von Strängnäs, Altkloster mit allen Rechten – ähnlich verfuhr sie auch mit den anderen sechs Frauen- und zwei Männerklöstern des Erzstifts, welche die Reformation sämtlich überdauert hatten. Was wurde aber aus den Nonnen? Der abgebildete Alimentationsvertrag des Strängnäser Bischofs mit den Nonnen gibt darüber Auskunft: Jede Nonne erhielt jährlich 60 Reichstaler, jede Konverse 60 Mark zuzüglich Roggen, Torf, Brennholz, Salz und Fisch. Die Ausstattung der Gottesdienste mit Kerzen, Wein usw. wurde vom Bischof nicht übernommen: Da die Frauen nun weltlichen Standes seien, müssten sie, was „zu ihrem vermeinten Gottesdienst vonnöthen, sich selbsten verschaffen“. Fortan konnten die Frauen demgemäß privat im Klostergebäude wohnen oder es zwecks Heirat verlassen. Die letzte ehemalige Nonne Altklosters starb 1694, die letzte des ganzen Erzstifts 1705 (Neukloster). Mit dem 1683 neu besetzten Konvent des Klosters Neuenwalde blieb lediglich ein evangelischer Konvent zur Versorgung der Ritterschaft bestehen.
Quellen

Oben: Plan von Altkloster, 1670 NLA ST, Karten Neu Nr. 13440

Unten: Alimentationsvertrag des Konvents von Altkloster mit Nonnenunterschriften 1650 (Ausschnitt), NLA ST, Rep. 5a Nr. 6670





7 | Schulalltag auf der Lateinschule



Auch wenn es keinen direkten Nachweis gibt, so galt doch wahrscheinlich bereits zur Schwedenzeit eine allgemeine Schulpflicht. Aus den Visitationsberichten des neu begründeten Konsistoriums für die staatliche Aufsicht über das Kirchen- und Schulwesen kann man herauslesen, dass auch kleinere Orte auf dem Land eine Schule als eigenen Ort oder in einer Stube mit entsprechender Größe vorhalten mussten und die Fernhaltung von Kindern vom Unterricht bestraft werden sollte.

Freilich ging es in den Elementarschulen beim Unterricht in erster Linie zunächst nur um das Lesen und Auswendiglernen des Katechismus sowie Schönschrift oder auch Kalligraphie.

Neben den Elementarschulen wurden im 16. und 17. Jahrhundert mit den ersten Gymnasien auch weiterführende Schulen in den Herzogtümern Bremen und Verden gegründet.

Quellen

rechts: Sammlung kalligraphischer Schriftproben, NLA ST, Rep. 5a Nr. 4978







In Verden wurde 1578 die Domschule eingerichtet, in Stade auf Veranlassung des Magistrats und auf Wunsch der dortigen Bürger 1588 ein lutherisch ausgerichtetes Athenaeum und in Bremen als Gegenstück zum calvinistischen ‚Gymnasium Illustre‘ 1642 ebenfalls ein Athenaeum. Sie sollten die gebildete Jugend auf das Studium der Theologie, später auch der Rechtsprechung (Jurisprudenz) oder Mathematik vorbereiten.



Quellen

Sammlung von Schriftproben (‚Specimina‘) einer Arithmetik-Klasse, Einzelexemplar zum Fach Arithmetik sowie Blatt mit Winkelberechnungen, alle NLA ST, Rep. 5a Nr. 4998

Im schwedischen Rezess mit der Stadt Stade von 1652 wurde die Zuständigkeit des Magistrats der Stadt Stade für die Schule zwar bestätigt, die Bestallung des ‚rector scholae‘ durfte aber nicht ohne Zustimmung der schwedischen Regierung erfolgen. Die Schule genoss von Anfang an einen guten Ruf, weit über die Stadtgrenzen hinaus. Aus dem Jahr 1690 ist eine erste Schulordnung für das Stader Athenaeum erhalten, die die damals wichtigen Verhaltensregeln für die Schüler festhält. So durften Stader Schüler z. B. im Sommer nicht in offenen Gewässern baden, im Winter nicht Eislaufen oder Schneeballschlachten veranstalten. Es galt ein Waffenverbot (hier sind Degen gemeint) ebenso wie ein Verbot des Haltens von Tauben, Enten oder Singvögeln.

Quelle

Deckblatt sowie Kapitel XXVI, XXXII und XXXIII der Schulordnung des Stader Athenaeums 1690, NLA ST, Rep. 5a Nr. 5686





8 | In Stade werden Kalender gedruckt



Die neue Rolle Stades als Sitz einer schwedischen Regierung und Verwaltung zog im Jahr 1651 den Wolfenbütteler Kupferstecher und Buchdrucker Elias Holwein nach Stade, wo er als bestallter königlich schwedischer Buchdrucker die erste Buchdruckerei in den beiden Herzogtümern begründete.

Quellen

Oben: Historienkalender 1724, gedruckt von Caspar Holweins Erben, NLA ST, GHV IX H2 36

Rechts: Deckblatt einer von Elias Holwein gedruckten Schulschrift des Stader Athenaeums 1653, NLA ST, GHV VI B1 21

Nach seinem Tod 1659 führte seine Witwe eine Weile seine Geschäfte in Stade fort, bis sein Sohn Caspar 1663 als Erbe übernehmen konnte. Er erlangte zwar das Druckmonopol seines Vaters erst 1684 zurück, schaffte es aber trotzdem durch Aufträge in Regierungsdrucksachen, durch Leichenpredigten, Erbauungsliteratur, Kalender, Gebets- und Gesangbücher und vor allem die vom Stader Generalsuperintendenten Johannes Diecmann herausgegebene Bibel ein erfolgreiches Geschäft bis zu dessen kriegerischer Zerstörung durch die dänische Besatzung im Jahre 1712 aufzubauen. Von dieser Ansiedlung profitierten auch weitere Gelehrte, die einen Ruf nach Stade annahmen, wie die Rechenmeister und Kalendermacher Johann Heinrich Voigt in Stade oder Paul Halcke in Buxtehude, und auf eine Druckwerkstatt zur Verbreitung ihrer Kalender angewiesen waren.



Quellen

Hintergrund: Deckblatt einer von der Witwe gedruckten Beschreibung des Stader Stadtbrands 1660, NLA ST, GHV III A 24

oben: Deckblatt einer von Caspar Holwein gedruckten Bibel von Johannes Dieckmann 1702, NLA ST, GHV VI A 2 F 135







9 | Katastrophen

Hochwasser, Deichbrüche, Feuersbrünste und Stürme: Naturkatastrophen, wie wir sie heute kennen, gab es schon immer – auch in der Schwedenzeit. Eine besondere Gefahr für das Elbe-Weser-Gebiet stellten dabei die Nordsee und die beiden Flüsse dar. Drei Sturmfluten trafen die Küsten Bremen-Verdens während der Schwedenzeit: Die Petriflut 1651, die Katharinenflut 1685 und die hier zu sehende Weihnachtsflut 1717.

Auch Feuersbrünste stellten immer wieder eine gefährliche und existenzbedrohende Gefahr dar. Meist durch menschliche Unachtsamkeit, seltener durch Blitzeinschläge oder Mutwillen entstanden, breitete sich das Feuer rasch von einem Fachwerkhaus zum nächsten aus. Besonders betroffen war das schwedische Verwaltungszentrum Stade: 1659 wurden zwei Drittel der Stadt durch einen gewaltigen Brand zerstört, wie auf der Karte zu sehen. Selbst die Schwedische Regierung wurde vom Brand überrascht – ein Protokoll wurde angesengt und dann bis nach Kollmar in Holstein geweht. Heute befindet es sich wieder im Niedersächsischen Landesarchiv.



Quellen

oben: Stadtplan mit Zerstörungen nach dem Stader Stadtbrand 1659, NLA ST, GHV III A 30

rechts: Titelblatt einer Druckschrift zur Weihnachtsflut 1717, NLA ST, Rep. 5a Nr. 4285

Auch Stürme machten den Menschen in der Schwedenzeit zu schaffen. Die mittelalterliche Turmhaube des Verdener Doms war während der Schwedenzeit derart durch Unwetter beschädigt worden, dass ein flaches Notdach errichtet werden musste. 1709 berichtete ein Baumeister, die Turmspitze „sähe nicht viel anders aus, als ob ein Hünerkorb darauff gestellet were“. Daher reichte er die hier zu sehenden Neubauvorschläge ein. Er bat, dass das Dach nicht „bey itziger schweren undt geldtknappen Zeiten noch länger hinausgesetzet werden dürffe“, da der Turm sonst wegen „durchdringenden Regens von Zeit zu Zeit immer schlimmer undt mehr“ zerstört werde. Da Schweden zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Großen Nordischen Krieges kaum Gelder erübrigen konnte, wurde schließlich kein Vorschlag umgesetzt. 1711 beschloss die schwedische Regierung, lediglich Gelder „zu einem platten Obtach des Thurmes“ freizugeben. Die Turmhaube wurde in den folgenden Jahrzehnten immer wieder beschädigt, bis heute jedoch nicht wieder in ihrer Ursprungsform hergestellt.
Quelle

Bauvorschlagsskizze zum Verdener Dom 1709, NLA ST, Karten Neu Nr. 14461



10 | Eine Königin übergibt die Provinz



Im Verlauf des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) änderten sich die Mächtekonstellationen in Nordeuropa – mit wesentlichen Auswirkungen auf die Elbe-Weser-Region. Die Großmacht Schweden verlor ihre Vorherrschaft, Brandenburg-Preußen, Russland und das seit 1714 in Personalunion mit Großbritannien verbundene Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover) übernahmen die schwedischen Besitzungen im Nord- und Ostseeraum. Die Herzogtümer Bremen und Verden wurden 1719/20 von Schweden an Kurhannover abgetreten.

Nach dem Tod des schwedischen Königs Carl XII. bei der Belagerung der norwegischen Festung Fredrikshald im Dezember 1718 wurde seine Schwester Ulrica Eleonora (die Jüngere) (1688-1741) für gut ein Jahr Königin von Schweden. Sie unterstützte den Friedensprozess. Die Verhandlungen in Stockholm führten im Sommer 1719 zu einem Präliminarfrieden, der endgültige Friedensvertrag wurde am 9./20. November 1719 abgeschlossen und am 23. November/4. Dezember 1719 von Königin Ulrica Eleonora ratifiziert. Die bevollmächtigten Unterhändler waren von schwedischer Seite die Reichsräte und Grafen Gustav Cronhielm (Präsident des Kanzleikollegiums), Karl Gustav Dücker (Feldmarschall und Kriegsrat), Gustaf Adam Taube (Oberstatthalter in Stockholm) und Magnus Julius De la Gardie (Präsident im Kommerzkollegium) sowie der Etatssekretär Daniel Niklas von Höpken und von hannoverscher Seite der Minister Oberst Adolph Friedrich von Bassewitz.

Quellen

Hintergrund oben: Portrait Königin Ulrica Eleonora (die Jüngere) (1688-1741), Engelhard Schröder, Wikimedia

Oben: Friedensvertrag zwischen Schweden und Kurhannover 1719, mit königlich schwedischem Siegel, NLA HA, Hann. 10 Nr. 387

Unten: Vollmacht der Königin (li.) und Unterschriften der Unterhändler (re.), NLA HA, Hann. 10 Nr. 387

Anmerkung: Da in Schweden noch der alte julianische Kalenderstil galt, finden sich unter dem Friedensvertrag zwei verschiedene Daten mit einer Differenz von elf Tagen.

Schweden wurde für die Abtretung Bremen-Verdens mit 1 Million Reichstalern und weiteren Entschädigungszahlungen abgefunden und die schwedische Regierung im Sommer 1720 aufgelöst. Damit waren die Herzogtümer Bremen und Verden mit allen dazu gehörigen Rechten endgültig und vollständig im Besitz des Kurfürstentums Hannover. König Georg I. von Großbritannien wies als Kurfürst von Hannover seine neue Regierung in Stade im April 1720 an, den Landständen die Übergabe Bremen-Verdens durch Schweden anzuzeigen. Im Juni 1720 folgte die allgemeine Bekanntgabe der neuen Landesherrschaft in den Herzogtümern Bremen und Verden durch Abkündigung von den Kanzeln. Mit der Übernahme Bremen-Verdens durch Hannover endete die europäische Bedeutung der Elbe-Weser-Region, die seitdem am Rande des großen außenpolitischen Geschehens stand und in vergleichsweise ruhiges Fahrwasser geriet.





Redaktion

Die Ausstellung „Schwedenzeit 1648-1719. Weg in die Moderne?“ wurde anlässlich der Fertigstellung des mehrjährigen Forschungsprojekts zur Erschließung des umfangreichen Bestandes des „Schwedischen Regierungsarchivs“ (NLA ST, Rep. 5a) im Niedersächsischen Landesarchiv in Stade gezeigt und anschließend virtuell aufbereitet.

Abbildung Eingangsseite: "Allee zum Schloss Agathenburg“ ©Niedersächsisches Landesarchiv 2024

Beiträge von: Dr. Thomas Bardelle, Dr. Beate-Christine Fiedler, Dr. Malte de Vries, Dr. Lukas Weichert, alle NLA - Abteilung Stade

Gestaltung: Anna von Bargen, NLA - Abteilung Stade

Technische Umsetzung: Christian Manuel Meyer, NLA - Abteilung Zentrale Dienste