Quellen aus 700 Jahren ostfriesischer Geschichte im Niedersächsischen Landesarchiv - Abteilung Aurich
Nicht nur aus der Sicht seiner Bewohnerinnen und Bewohner ist Ostfriesland etwas ganz besonderes – heel wat besünners. Anhand von Quellen aus 700 Jahren ostfriesischer Geschichte in der Abteilung Aurich des Niedersächsischen Landesarchivs werden Schlaglichter auf einige der Besonderheiten und prägende geografische Gegebenheiten geworfen.
Anlass für diese Ausstellung, zunächst im Gebäude des Niedersächsischen Landesarchivs in Aurich, war die vor 150 Jahren, am 9. April 1872, erfolgte Gründung des Königlich Preußischen Staatsarchivs in Aurich. Entsprechend gewürdigt wurde dieses Ereignis mit einer wissenschaftlichen Tagung. Ergänzend entstand diese kleine Ausstellung, die jetzt virtuell aufbereitet wurde.
Recht unscheinbar kommt diese Urkunde daher. Und doch nimmt sie einen besonderen Platz ein: Sie ist das älteste Schriftstück im Bestand des Niedersächsischen Landesarchivs – Abteilung Aurich: Am 29. Mai 1284 verkaufte der Bischof von Münster der Kommende Steinfurt unter anderem einen Hof, den er in Holtgaste besaß. Damit ist die Urkunde ein Zeugnis der bedeutenden Klosterlandschaft in Ostfriesland, die in ihrer Hochphase etwa 30 Klöster, Stifte und Kommenden verschiedener Kongregationen umfasste. Der Überlieferung nach soll es beinahe nirgendwo im mittelalterlichen Deutschen Reich eine solche Konzentration von Klöstern gegeben haben.
Die Klöster hatten eine große Bedeutung für die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Strukturen Ostfrieslands. Die meisten entstanden während einer Gründungswelle im 12. und 13. Jahrhundert. Mit der Reformation wurden die Klostergemeinschaften aufgelöst und die Gebäude abgetragen. Leider gingen so auch die meisten Bild- und Schriftquellen verloren.
Bischof Eberhard von Münster verkauft der Kommende Steinfurt den Hof in Holtgaste und die Grundstücke bei Winssum, 29. Mai 1284, NLA AU Rep. 1 Nr. 784
In Ostfriesland stießen die reformatorischen Ideen des Martin Luther schon früh auf große Zustimmung. So auch bei Häuptling Ulrich von Dornum (1465/66 – 1536), der in der Kirche von Oldersum ein öffentliches Streitgespräch zwischen neu- und altgläubigen Theologen initiierte. Seine Niederschrift des Streitgesprächs, das als Oldersumer Religionsgespräch in die Geschichte einging, wurde zu einem Bericht des Siegers, der die katholische Seite mit Schimpf und Schande bedachte.
Die „Disputation to Oldersum“ ist das einzige erhaltene Exemplar des Druckes von 1526 überhaupt, ein Unikat! Und darüber hinaus die einzige zeitgenössische Druckschrift, die aus der Frühzeit der ostfriesischen Reformation erhalten ist. Der Historiker Ubbo Emmius hat als erster ausführlich auf dieser Grundlage über diese Disputation berichtet und sie als entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Reformation in Ostfriesland bewertet.
„Disputation to Oldersum ... thusschen D. Lauwers, Jacobiten van Groningen und M. Jurien Evangelisten tho Emeden in sachen den Christlichen geloven bedrepen ...", Wittenberg 1526
Gleich zu Anfang signalisierte der Gastgeber Ulrich von Dornum in seiner Vorrede an den „christlichen Leser“, dass das Streitgespräch kein offenes Ende haben würde:
„Wenn ich den Doktor [der katholische Dominikanerprior Laurens Laurensen] und seinen Gesellen so heftig anfalle und fasse beide am Schopf und drehe sie um und um, wie die großen Dorfköter es mit den kleinen Kirmeskläffern zu tun pflegen, so muß man mir das nicht verübeln, denn es ist so Brauch in der Heiligen Schrift, und Christus sowohl wie Johannes der Täufer und Paulus, alle Apostel und Propheten, sind nicht anders verfahren mit hartnäckigen, halsstarrigen und verknöcherten Gesellen.“
NLA AU Rep 135, Nr. 145 pg 1 verso, Zeilen 12 - 20
Im Großen und Ganzen lässt sich heute feststellen, dass Ostfriesland, was die Konfessionen anbetrifft, in eine westliche reformierte und eine östliche lutherische Hälfte geteilt ist. Gründe findet man in dem eigentümlichen politischen Konflikt zwischen der Landesherrschaft, den Grafen und den Ständen, der sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts herausbildete und die Geschichte des Landes auf lange Zeit bestimmen sollte.
Hauptakteur der ständischen Bewegung um 1600 war die Stadt Emden. Hier nährte das reformierte Bekenntnis republikanische Gedanken. Nach der „Emder Revolution“ 1595, die die landesherrliche Hoheit in der Stadt beseitigte, bedeuteten die „Konkordate“ den Versuch, ein Einvernehmen im Land zustande zu bringen - wobei die Stände Unterstützung durch die (reformierten) niederländischen Generalstaaten erhielten. In Bezug auf die Konfessionsausübung wurde die Gleichberechtigung der reformierten und lutherischen Lehre im Lande ausgehandelt – mit dem Grundsatz, jeweils nur „eine Kirche an einem Ort“ zu haben [Dep. 28 A Nr. 33 pg. 11]. Damit wurde Ostfrieslands Teilung in eine westliche reformierte und eine östliche lutherische Hälfte in die Wege geleitet. Beide Konfessionen standen nun gleichberechtigt nebeneinander, was im Deutschen Reich erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 durchgesetzt wurde.
Konkordaten [Landesvertrag] zwischen Graf Enno III. und den ostfriesischen Ständen unter Vermittlung der niederländischen Generalstaaten (Emden 29. September 1599, Aurich 07. November 1599), Original Pergament 65 Seiten, in festem Pergamentband mit eigenhändigen Unterschriften des Grafen und von 10 Vertretern der Stände und 9 Siegel NLA AU Dep. 28 A Nr. 33
9 Siegel von:
1. Graf Enno III. 2. Ico von Inn- und Knyphausen 3. Eger Beninga zu Grimersum 4. Mauritz Ripperda zu Dornum 5. Franz Friedagh von Loringhoven zu Gödens 6. Swehr van Delen zu Rysum 7. Stadt Norden 8. Stadt Emden 9. Stadt Aurich
Mit dieser Urkunde von Kaiser Friedrich III. wurde Ostfriesland zur Reichsgrafschaft erhoben. Es war Ulrich Cirksena, der sich weitsichtig gegen andere Häuptlinge durchsetzte und am 23. Dezember 1464 vom Habsburger Kaiser Friedrich III. mit der Grafschaft Ostfriesland belehnt wurde. Die Belehnung begründete die bis 1744 andauernde Herrschaft dieser Häuptlingsfamilie, die später auch den Fürstentitel erhielt. In der Urkunde wurden die Rechte des Grafen sowie das Territorium der Grafschaft „von der Westeremse osterwards biss an die Weser“ festgelegt.
Ausdrücklich unberührt blieben alle „Freiheiten und Gerechtigkeiten“, die den „gemeinen Landen zu Ostfriesland“, von Karl dem Großen und nachfolgenden Kaisern und Königen verliehen worden waren. Die Grafen in Ostfriesland erlangten nie eine so starke Position wie der Adel in den anderen absolutistisch regierten Staaten des Reiches, da die friesischen Stände, also die Ostfriesische Ritterschaft, Bauern- und Städtevertreter ihre Freiheitsrechte weitgehend zu wahren wussten.
Kaiser Friedrich III. erhebt den Junker Ulrich Cirksena zum Grafen in Ostfriesland, Wiener Neustadt am 1. Oktober 1464 NLA AU Rep. 1 Nr. 37II.1
Die ostfriesischen Stände sind die einzige Korporation dieser Art, die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ein Wappen vom Kaiser erhalten haben. Für die Landesherrschaft bedeutete es natürlich eine schwere Kränkung.
Das Wappen zeigt einen Geharnischten / Gewaffneten vor einem Baum auf einem Hügel, den man nach einer von Ubbo Emmius missverstandenen Aussage als den Upstalsboom, das Symbol der friesischen Freiheit, ansah. Die Urkunde wurde in zwei Ausfertigungen für Adel und Stände Ostfrieslands erteilt.
Die Ausfertigung des Wappenschildes für den Adel (unten) zeigt den über dem Wappen thronenden Kaiser mit den acht Kurfürsten (Trier, Köln, Mainz, Böhmen, Bayern, Sachsen, Brandenburg, Pfalz) als Sinnbild des Reiches.
Im Jahr 1609 überfielen Soldaten der Garnison Emdens die Auricher Residenz des Grafen Enno III., plünderten die dort untergebrachte gräfliche Registratur und schleppten zahlreiche Kisten mit Urkunden und Akten fort. Es war eine gezielte Provokation der Stadt Emden in ihrem Kampf gegen den Landesherrn. Der Vorfall bewies, dass die bisher zwischen den Landständen und der Landesherrschaft geschlossenen Verträge und Abmachungen zu keinem wirklichen Ausgleich zwischen den ständischen und gräflichen Interessen geführt hatten.
Unter niederländischer Vermittlung kam es zu Verhandlungen, die 1611 in einen Landesvertrag mündeten, der in Osterhusen bei Hinte unterzeichnet wurde. Der Osterhusische Akkord bestätigte nicht nur alle bisherigen Festlegungen zwischen den Landständen und der Landesherrschaft, sondern relativierte die landesherrliche Gerichtsbarkeit und beließ den Ständen weitgehend freie Hand im Steuerwesen. Auch wenn der Osterhusische Akkord zumeist als Niederlage des Landesherrn interpretiert wird, konnte die Stadt Emden ihre Maximalziele ebenfalls nicht erreichen. Ihre Versuche, Ostfriesland in einen republikanischen Ständestaat umzuwandeln oder Emden zumindest aus dem territorialen Gefüge der Grafschaft herauszulösen, waren gescheitert. Letztlich brachte der Osterhusische Akkord für Ostfriesland ein Ende des „dynamischen Zeitalters seiner Ständekämpfe“.
Die Bevollmächtigten der Generalstaaten der Vereinigten Niederlande vermitteln einen Vertrag über die Schlichtung der ostfriesischen Landesstreitigkeiten zwischen dem Grafen Enno III. von Ostfriesland und seinen Landständen, Osterhusen, 21.05.1611 - 12.08.1611 NLA AU Rep. 1 Nr. 204
(geb. 1490 Grimersum, gest. 19.10.1562 ebenda)
war Rat und Drost der Grafen von Ostfriesland und ist durch seine Chronik der friesischen bzw. ostfriesischen Geschichte bekannt geworden. Es wurde die erste Landesgeschichtsschreibung dieser Region. Für sein Werk spürte er bis dahin kaum zugängliche Quellen auf, nutzte erzählende Quellen, Urkunden und Rechtsquellen und fügte Selbsterlebtes hinzu.
Sein Werk spiegelt den vom Humanismus geweckten Nationalstolz wieder. So schrieb er die überlieferten Herkunftstraditionen der Friesen auf, die ihnen eine besondere Eigenständigkeit und Aufgabe vor Gott und der Geschichte zuwiesen.
Er nutzte die plattdeutsche Sprache. So war die Chronik, die den Zeitraum vom 6. Jahrhundert bis 1562 umfasste, damals jedem verständlich. Sein Werk bildete einige Jahrzehnte später die Grundlage für die lateinische „Rerum Frisicarum Historia“ des Ubbo Emmius.
Eggerik Beninga: Cronica der Fresen, 1562 (Abschrift des 18. Jh., Folio, 596 Bl.) NLA AU Rep. 241 A 2
(geb. 5.12.1547 in Greetsiel, gest. 9. 12.1625 in Groningen)
galt schon zu Lebzeiten als der berühmteste Gelehrte Frieslands. Er war Philologe und Theologe, hatte medizinische und naturwissenschaftliche Fähigkeiten und entwarf eine grundlegende Karte von Ostfriesland. Seine größte Bedeutung erlangte er als Historiker, der es sich zum Ziel setzte, die gesamtfriesische Geschichte von ihren Anfängen bis 1564 aufzuschreiben. Sein umfassendes und bedeutendes Hauptwerk, die „Rerum Frisicarum Historia“, wurde ein Loblied auf die `Friesische Freiheit´. Ob Mythos oder nicht - sie ist bis heute Teil des kulturellen Selbstverständnisses in Ostfriesland.
Aufgrund seines historischen Freiheitsbegriffs nahm Emmius eindeutig Partei für die ostfriesischen Stände, an ihrer Spitze die Stadt Emden, die sich in heftigen Auseinandersetzungen mit dem Landesherrn, dem Grafen von Ostfriesland, befanden. Er diente der in seinen Augen gerechten - der ständischen - Sache.
Emmius gilt als Wegbereiter für die wissenschaftliche Geschichtsforschung Frieslands der Neuzeit. Schriftliche Überlieferungen betrachtete er kritisch, mündliche Überlieferungen lehnte er sogar ab. Für alle historischen Zeugnisse galt, sie einer Quellenkritik zu unterziehen und sie nach ihrer Objektivität zu befragen. Mit diesen von ihm erstmals formulierten Grundregeln der historischen Forschung blieb er bis in das 19. Jahrhundert ein Vorbild.
Historische Kollektaneen des Ubbo Emmius, vermutlich Vorarbeiten für seine Rerum Frisicarum Historia (o.J., ca. 1600) NLA AU Rep. 241 A 16
(geb. 18.10.1746 Emden, gest. 7.3.1826 Aurich)
wurde nach Ubbo Emmius der „zweite Erzvater“ der ostfriesischen Geschichtsschreibung. Er war Sekretär der Ostfriesischen Landschaft und schuf mit seiner zehnbändigen „Ostfriesischen Geschichte“ ein Standardwerk, das in seiner Zeit auch zu einem buchhändlerischen Erfolg wurde. Emmius´ Geschichtswerk war mittlerweile 200 Jahre alt und zudem auf Latein verfasst worden. Auch Wiarda beherrschten die Vorstellungen eines republikanischen Gemeinwesens, in dem das Volk der freien Friesen sich selbst Gesetze schuf. In seinen Schilderungen der Auseinandersetzungen der ostfriesischen Grafen und Fürsten mit den Ständen des Landes schlug er sich vorbehaltlos auf die Seite der Stände.
Tilemann Dothias Wiarda: Ostfriesische Geschichte Bd. III (1540 - 1611). Es handelt sich um eine von Wiarda selbst erstellte handschriftliche Druckvorlage. Stellenweise sind Randbemerkungen und Korrekturvermerke zu finden, verlegt in Aurich bei August Friedrich Winter, 1792 NLA AU Dep. 1 Msc. Nr. 52 Bd. III
Großefehn, gegründet im Jahr 1633, wurde die erste Fehnkolonie in Ostfriesland. Geschäftstüchtige Emder Bürger erwarben vom ostfriesischen Grafen Ulrich II. rund „400 Diemath Moraß“ (200 Hektar Moor) zwischen Timmel und Westersander. Sie wollten dort Torf abgraben lassen, um Emden mit Heizmaterial zu versorgen.
Erstmals wurde nach niederländischem Vorbild Torf abgegraben: Kanäle wurden in die Moorgebiete getrieben und mit Sielen versehen. Dadurch legte man die anliegenden Ländereien trocken. Gleichzeitig dienten die Wasserstraßen dem Abtransport des im Moor gegrabenen Torfes, der vor allem als Brenntorf in der Emder Industrie, den Ziegeleien und Brauereien, aber auch für den Hausbrand genutzt wurde. Landwirte und Schiffer siedelten sich an, die neben Torf auch landwirtschaftliche Produkte transportierten. Kleine Werften entstanden, auf denen spezielle Bootstypen, die an die flachen Gewässer angepasst waren, gebaut wurden. Weitere Gründungen entstanden nach dem erfolgreichen Vorbild und auch heute noch prägen die Fehnorte die ostfriesische Landschaft.
Erbpachtbrief des Grafen Ulrich II. von Ostfriesland für die Gründer des Großefehns, die Emder Unternehmer Simon Tewes (Tebes), Cornelius Rekener, Claas Berens und Gerd Lammers über 400 Diemat zwischen Timmel und Westersander, Aurich, den 27. November 1633 NLA AU Rep. 226/1 Nr. 1
Fridrich Arends beschrieb die Fehnsiedlungen 1820 so:
„Man geht stundenlang durch öde Heide und Moor; plötzlich liegt ein breiter Canal vor uns, der in unabsehbarer Länge sich hinzieht, bedeckt mit Schiffen und Kähnen. Kleine reinliche Häuser von rothen Ziegelsteinen erheben sich auf seinen Ufern, 20, 30 Schritt voneinander entfernt, umgeben von einladenden Gemüse-gärtchen. […] Armuth ist daher selten, und war vor 1806 unbekannt auf den Fehnen.“
Fridrich Arends: Ostfriesland und Jever in geographischer, statistischer und besonders landwirthschaftlicher Hinsicht. Dritter Band. Emden 1820
Prospect des Großen-Fehns, aus dem Rodenschen Hause. Denen Herren Interressenten desselben gewidmet, Kupferstich von C. B. Meyer, Aurich 1788 NLA AU Rep. 243 A 115
Als weit weniger erfolgreich erwies sich die ostfriesische Moorkolonisation, die der Preußenkönig Friedrich II. mit dem „Urbarmachungsedikt“ vom 22. Juli 1765 anstieß. Alle Heide- und Moorflächen, deren Eigentum nicht eindeutig nachweisbar war, wurden zu Staatseigentum erklärt. Die Flächen vergab man an Kolonisten, die überwiegend Tagelöhner und Heuerleute, also arme und mittellose Menschen waren.
Die ersten Kolonisten erschlossen ihre Moorflächen in der Regel durch Brandrodung mit anschließendem Anbau von Buchweizen, der aber nur für einige Jahre sinnvoll möglich war. Das Land galt als schlecht und blieb durch mangelnde Abwässerung – es wurden keine Kanäle angelegt, wie bei der Fehnkolonisation – teilweise sogar unkultiviert. Oft waren die verpachteten Parzellen außerdem viel zu klein, um eine Familie ernähren zu können. Als Folge litten die Moorkolonisten unter großer Verelendung.
1791 wurde das Kolonisierungsprogramm eingestellt und erst 1808 mit wesentlich stärkerer staatlicher Lenkung und einer strengeren Auswahl der Kolonisten wieder aufgenommen. Trotzdem lebten noch viele Kolonisten auch im 19. Jahrhundert in bitterer Armut.
"Edikt wegen Urbarmachung der in unserm Fürstenthum Ostfriesland und Harlinger-Lande befindlichen Wüsteneyen, wobey zugleich die principia regulativa festgesetzet werden bey Ausweisung der wüsten Feldern und bey Entscheidung der darüber entstehenden Streitigkeiten zu verfahren", ausgestellt in Berlin am 22. Juli 1765 NLA AU Rep. 16/3 Nr. 367
Ansichten von Kolonistenhäusern in Moordorf (Fotografien von Ziegler), 1897 NLA AU Rep. 243, A 95
Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren von großem Mangel, der alle Lebensbereiche betraf, geprägt. Der extrem harte Winter 1946/47 verschärfte die Lage. Zu der Ernährungskrise kamen Engpässe in der Brennstoffversorgung. Deshalb bestimmte 1946 die Britische Militärregierung, dass „Brennstoffe in erster Linie für die Bezirke zum Einsatz kommen, in denen sie gewonnen werden.“ Dies bedeutete für den Regierungsbezirk Aurich die Intensivierung des seit Jahrhunderten in dieser Region betriebenen Torfabbaus. Die notwendigen Arbeiten sollten „im Wege einer von der Bevölkerung selbst durchgeführten Selbsthilfeaktion, der Torfaktion“ geschehen: „Torfstechen im Sommer sichert eine warme Stube im Winter“ lautete die Aufforderung und das Versprechen. Allerdings erfolgte die Gewinnung von Brenntorf damals zu ca. 75 Prozent durch Handstich, was Schwerstarbeit bedeutete.
In Ostfriesland wurde Schwarztorf bis weit in die 1950er Jahre für die Feuerung im Winter verwendet. Erst nach der Währungsreform zeichnete sich ab, dass Torf als Energieträger gegenüber der Kohle keine Zukunft hatte.
Werbeplakat für die Torfgewinnung durch Handstich, 1947 NLA AU Rep. 17/5 Nr. 195
Weihnachten 1717: Eine katastrophale Sturmflut ließ die Deiche an der Nordseeküste brechen und forderte insgesamt mehr als 10.000 Todesopfer, vernichtete fruchtbares Marschenland und große Teile des Viehbestandes.
Zum Auslöser für große Hilfsbereitschaft und Betroffenheit wurde diese Karte auch in weit entfernten Landesteilen, die, topografisch zwar nicht exakt, die überfluteten Küstenregionen (grün koloriert) zeigt. Johann Homann aus Nürnberg brachte sie schon im Februar 1718 auf den Markt. Allegorische Bilder lassen die Naturgewalten als Strafe Gottes erscheinen und bedienen abergläubische Frömmigkeit. Frühaufklärerisch wirken dagegen kleine Texte, in denen sachlich über die Umstände informiert wird. Kleine bildliche Darstellungen zeigen Siele und Schöpfwerke und zeugen von menschlichen Technikkünsten, die den Fluten Einhalt gebieten können.
Zehn Jahre nach der Katastrophe wurden in Ostfriesland endlich effektive Maßnahmen ergriffen: Ein Deichdirektorium sollte Deichschauen durchführen und sich um die Anlage neuer Deiche kümmern. Außerdem trieb man energisch das Küsteningenieurwesen voran.
Die durch die Weihnachtsflut 1717 überschwemmten Nordsee-Küstengebiete von Groningen bis nach Schleswig-Holstein, 1720
Bereits im 11. Jahrhundert begannen die Ostfriesen, dem Meer nicht mehr zu weichen, sondern ihre Felder und Wiesen durch die Errichtung von Deichen zu schützen und zusätzliche Landflächen zu gewinnen. Es war und ist eine Geschichte von Rückschlägen und Neuanfängen. Bis heute wurde die Küste Niedersachsens mindestens einmal im Jahrhundert von schweren, immer höheren Sturmfluten heimgesucht.
Skizze der Deichbrüche in der Niederemsischen Deichacht nach der Weihnachtsflut 1717. Das Dorf Bettewehr (rot gezeichnet) lag vor der Deichlinie und wurde schwer beschädigt. Nach der nächsten Sturmflut 1720 wurde es endgültig aufgegeben
Der Schutz vor Sturmfluten und die Wartung und Errichtung von Deichen erforderte schon sehr früh ein gemeinschaftliches Handeln. So entstanden die Deichachten, eine genossenschaftliche Organisation der Grundbesitzer, von denen jeder abhängig von der Größe des zu schützenden Grundstücks - eine bestimmte Deichbaulast trug.
Erst durch Deichbau und Eindeichungen von Neuland entstand die heutige Form der Küste an der Nordsee. Versinnbildlicht wird dies in dem Ausspruch: „Gott schuf das Meer, der Friese die Küsten“.
Die schematische Quartiereinteilung skizziert, wer für welche Deichabschnitte in der Niederemsischen Deichacht zuständig war, 1720.
Niederemsische Deichachtssachen, 1720 - 1723 NLA AU Rep. 4, B 2 p Nr. 53
Sitzung des Deichrichters und seiner Mitarbeiter, Deputierte, Deichbaumeister und Finanzverwalter, Bildunterschrift:
„Unter Gotts und Fürsten Schutz, Sind Wir Hier zum Lande Nutz“…
NLA AU Rep. 243 A 111, um 1720
Die Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 traf die Bewohner der niedersächsischen Nordseeküste unerwartet. Seit 1825 hatte es Dank der Intensivierung des Küstenschutzes selbst bei außergewöhnlich hohen Wasserständen und Wellen keine Landverluste mehr gegeben. Aber wie schon 1825 bewirkten lang andauernde orkanartige Böen aus Nordwesten außergewöhnlich hohe Wasserstände am Jadebusen, an Weser und Elbe. Auch 1962 kam es zu katastrophalen Wassereinbrüchen an der gesamten deutschen, dänischen und niederländischen Küste. Besonders hart traf es Hamburg, mehr als 300 Menschen starben dort in den Fluten.
In den folgenden Tagen dokumentierte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Aurich die Sturmflutschäden, die Deichbrüche und Überschwemmungen auf den Inseln, entlang der Küste und an der Ems in Ostfriesland.
Dokumentation der Sturmflutschäden im Februar 1962, 1962 - 1973 NLA AU Rep. 150 Nr. 846
Im Oktober 3. Oktober 1797 wurde auf Norderney die erste Seebadeanstalt auf einer Nordseeinsel eröffnet. Ende des 18. Jahrhunderts hatten Mediziner die Heilkraft des Meeres und der Seeluft entdeckt. Die „Seebäderreise“ wurde zu einem neuen gesellschaftlichen Phänomen. Auch heute noch ist die Faszination für das Meer und die weiten Küstenlandschaften Ostfrieslands ungebrochen. Gäbe es den Bädertourismus auf den ostfriesischen Inseln und der Küste nicht – Ostfriesland würde eine wichtige Einnahmequelle fehlen.
Bereits 1819 gehörte die Insel als Königlich - Hannoversches Seebad zu den bekanntesten europäischen Bädern. Vor allem König Georg V. von Hannover trug nachhaltig dazu bei, der Insel ein mondänes Flair zu verleihen, indem er die Insel zusammen mit seiner Familie ab 1851 mehrere Monate im Jahr zu seiner Sommerresidenz machte. Da dem Paar der Hofstaat folgte, wurden in den nächsten Jahren mehrere Gebäude errichtet, die bis heute den Stadtkern prägen.
"Die Insel Norderney, vom Bade-Strande", Kupferstich von C. B. Meyer; 1815 NLA AU Rep. 243 A 113
Baltrum, die kleinste der ostfriesischen Inseln, folgte als letzte dem Beispiel Norderneys und begann 1876 seine Entwicklung als Seebad.
Werbebroschüre mit Gastgeberverzeichnis der Insel Baltrum, 1995 NLA AU Rep. 230, acc. 2018/17 Nr. 3
Am 1. Januar 1811 wurde Ostfriesland als „Departement Ems Oriental“ dem französischen Kaiserreich einverleibt. Mit einem Federstrich Napoleons wurden die alten Vorrechte, die Ostfriesland selbst unter preußischer Herrschaft hatte, einfach beseitigt. Besonderen Unmut rief die Einführung einer bislang noch nie durchgesetzten Militärpflicht in Ostfriesland hervor.
Als sich am 11. April 1811 hunderte Seeleute aus den Kantonen Aurich, Berum, Norden und Timmel auf dem Auricher Schlossplatz zur Rekrutierung einfinden sollten, kam es zu einem Aufruhr: Der französische Präfekt erhielt mit einem Knüppel Schläge in den Nacken und musste durch den Schlossgraben flüchten. Die Reaktion der französischen Besatzungsmacht war gnadenlos. 600 Mann Infanterie besetzten den kleinen Ort Timmel bei Aurich und verhafteten die Rädelsführer. Am 24. Mai wurden Focke Frerichs Janssen aus Großefehn und Johann Reck aus Timmel zum Tode durch Erschießen verurteilt. Andere erhielten drastische Gefängnisstrafen von bis zu 16 Jahren.
Das in Deutsch und Französisch abgefasste und überall im Lande angeschlagene Urteil sollte abschreckend wirken und allen Widerstand brechen.
Sammlung gedruckter Verordnungen sowie bedeutender Reskripte und Resolutionen NLA AU Rep. 5 Nr. 397
Anfang der 1970er Jahre formierte sich der Widerstand gegen die geplante Altstadtsanierung von Leer. Die Bürgerinitiative Altstadtsanierung war eine der ersten im norddeutschen Raum, die ihre wichtigsten Ziele – zumindest teilweise – erfolgreich durchsetzen konnte. Ihre Mitglieder wehrten sich gegen die Pläne der Stadtverwaltung, die die „veralteten, unkomfortablen Wohnhäuser“ abreißen lassen wollte, um einen „verkehrsgerechten, großzügigen Ausbau von Straßen“ und den „Bau moderner großer Wohnblöcke“ vorantreiben zu können.
Die Bürgerinitiative ließ alternative Vorschläge erarbeiten, mobilisierte mit unzähligen Flugblättern, Leserbriefen und Diskussionsveranstaltungen die Öffentlichkeit, führte Umfragen durch, sammelte Unterschriften und wandte sich an Politiker auf Landes- und Bundesebene. Nicht immer war sie in der Sache erfolgreich, bewirkte aber dennoch, dass große Teile der Altstadt saniert und erhalten, statt abgerissen wurden.
Ebenso erfolgreich war sie in der Bewusstmachung, dass basisdemokratische Möglichkeiten erfolgreich genutzt werden können und dass die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt auch von einem historischen Stadtbild mit geschichtsträchtiger Bausubstanz getragen wird. Heute gilt die historische Altstadt von Leer als „Kleinod Ostfrieslands“ und wirkt als zuverlässiger Touristenmagnet.
Flugblätter und Plakate der Bürgerinitiative Altstadtsanierung Leer, 1973-1974 NLA AU Rep. 227/24 acc. 2017/23 Nrn. 37, 55
Ziel der Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen (1965 – 1978) war eine Verschlankung des ausufernden Verwaltungsapparates. Auch in Ostfriesland wurde dieser Reformprozess von heftigen Bürgerprotesten begleitet.
Der Verein „Rettet Ostfriesland“, dessen Mitglieder verschiedenen politischen Parteien angehörten, gründete sich in den 1970er Jahren.
Die Entrüstung wuchs, als klar wurde, dass der Ostfriesland umfassende Regierungsbezirk mit Sitz in Aurich aufgelöst werden sollte. Ostfriesland sollte Teil des neuen Bezirks Weser-Ems mit Sitz in Oldenburg werden. Man befürchtete, dass dadurch die „jahrhundertealte Einheit Ostfrieslands“ zerstört werden könnte, was „gleichbedeutend (…) mit dem Aufgehen in einem amorphen, geschichtslosen Nord-West-Bezirk“ sei. Ostfriesland könnte seine Identität verlieren und das strukturschwache Ostfriesland endgültig zum „Armenhaus Niedersachsens“ werden.
Der Regierungsbezirk Aurich zeugte von der einstigen staatlichen Selbstständigkeit Ostfrieslands. Am 31. Januar 1978 hörte er auf zu existieren, aber, wie man jetzt weiß, nicht das ostfriesische Selbstbewusstsein, etwas ganz Besonderes zu sein und eine besondere Geschichte zu haben.
Handzettel der SPD gegen die Bezirksreform, 1977 NLA AU Rep. 220/66 acc. 2010/003 Nr. 10
Offener Brief an den Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, Mai 1977 NLA AU Rep. 220/32 Nr. 75
Auricher Bürgerinnen und Bürger auf einer niedersachsenweiten Demonstration in Bad Rothenfelde, 1977 NLA AU Rep. 220/66 acc. 2010/003 Nr. 10
Der Genuss von Tee ist seit dem frühen 18. Jahrhundert nicht mehr aus dem Alltag der Ostfriesen weg zu denken, er wurde zum Volksgetränk und löste den bis dahin starken Bierkonsum in Ostfriesland ab. 1744 war Ostfriesland an Preußen gefallen und König Friedrich II. wies spätestens 1778 die Kriegs- und Domänenkammer in Aurich an, das „übermäßige Thee und Caffeetrinken“ - Tee galt ihm als „nahrloses Getränk“ - abzustellen, unter dem besonders „der Landmann“ zu leiden habe. Allerdings steckten handfeste wirtschaftliche Überlegungen hinter dieser Anordnung, da der Tee bei teuren Zwischenhändlern in den Niederlanden gekauft werden musste.
Zwischen der Kriegs- und Domänenkammer als oberster preußischer Verwaltungsbehörde und den Landständen kam es zu einem jahrelangen Streit. Vehement argumentierten die ostfriesischen Stände, dass es a) gar keinen übermäßigen Teegenuss gäbe, b) ein Verbot die persönliche Freiheit zu sehr einschränke und seit „altersher“ Ausdruck der Genussfreude auch des kleinen Mannes sei, c) Tee auch für die arme ländliche Bevölkerung erschwinglich wäre und d) derart zur Natur der Einwohner Ostfriesland gehöre, dass ein Verbot schon allein deshalb nicht durchsetzbar sei.
Am Ende konnte sich Friedrich der Große in dieser Sache in Ostfriesland nicht durchsetzen.
Die von der Kriegs- und Domänenkammer vorgesehene Verordnung gegen das übermäßige Tee- und Kaffeetrinken NLA AU Dep. 1 Nr. 3129
Die Bedeutung des Tees für Ostfriesland spiegelt zeigt sich auch knapp 200 Jahre später in dieser „Teekarte“, einer Lebensmittelkarte, die den Bezug von Tee 1942 in Kriegszeiten ermöglichte. Es war das Eingeständnis, dass ohne Tee in Ostfriesland nichts ging und es wurden Sonderrationen verteilt. Die Bevölkerung Emdens erhielt nach dem verheerenden Bombenangriff vom 9. September 1944 noch einmal eine Extraportion Tee, weil man sie `bei Laune´ halten wollte.
Bis heute ist die Teekultur eine Ostfriesland einende Kulturpraxis. Der Teekonsum gilt als Alleinstellungsmerkmal der Region und wurde als identitätsstiftende Kulturpraxis von der Heimatbewegung aufgegriffen. 2017 erkannte die UNESCO sie als „Form des Immateriellen Kulturerbes“ an.
Polizeiliche Untersuchungen, Auskünfte über Personen, Beschwerden usw., 1939-1943 NLA AU Dep. 34 B Nr. 291
Die Ostfriesische Landschaft forderte schon 1950 in einer Stellungnahme an den Auricher Regierungspräsidenten, „Plattdeutsch als obligatorischen Unterrichtsstoff“ für das 6. bis 8. Schuljahr einzuführen. Sie begründete den Vorstoß damit, dass „die ostfriesische plattdeutsche Sprache“ der „höchste geistige Ausdruck der ostfriesischen Kultur“ sei und „die dem ostfriesischen Volke eigentümliche Lebensführung und sachliche Kultur ihr Spiegelbild in der Sprache“ finde. Offenbar fürchtete man, dass aufgrund der Zuwanderung durch die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die plattdeutsche Sprache verschwinden könnte.
Die Befürchtung erwies sich als grundlos. Zwar ist das als ostfriesisch bezeichnete Niederdeutsch rückläufig, auch, weil es sich nicht als Schriftsprache durchsetzen konnte. Aber es ist längst nicht mehr vom Verschwinden bedroht. Im Jahr 1992 richtete die Ostfriesische Landschaft z.B. das „Plattdüütskbüro“ ein, dessen Ziel es ist, dass „Oostfreesland mehrsprakig blifft“.
Pflege des Plattdeutschen in den Schulen, Korrespondenz und Zeitungsausschnitte, 1949 -1959 NLA AU Dep. 1 N Nr. 2923
Das Indigenatsrecht ist ein alter Bestandteil des Deutschen Rechts und mit der Verleihung des Staatsbürgerrechtes vergleichbar. Die Ostfriesische Landschaft, d.h. die Landstände, hat als Hoheitsträger mit eigenem, vom Kaiser verliehenen Siegel und Wappen das Indigenat (lateinisch: indegena = der Eingeborene) benutzt, um Nichtlandsässigen das volle ostfriesische Staatsbürgerrecht zu gewähren. Seit 1821 verleiht die Ostfriesische Landschaft, die sich zum Kulturparlament der Region wandelte, das Indigenat als Ehrenbürgerschaft an Nicht-Ostfriesen, die sich um Ostfriesland in besonderer Weise verdient gemacht haben. Unter ihnen sind viele Historiker, Archivare, Künstler, Politiker, Vertreter der Wirtschaft, Architekten und Ingenieure. Diese und andere Auszeichnungen werden jährlich auf einer festlichen Landschaftsversammlung um den 10. Mai herum vergeben.
Verzeichnis der Indigenatsträger seit 1821 sowie Korrespondenz mit oder zu Indigenatsträgern, 1943-1979 NLA AU Dep. 1 N, Nr. 3165
Zu den Auszeichnungen, die die Ostfriesischen Landschaft an kulturhistorisch engagierte Bürger verleiht, gehört auch das Totius-Frisiae-Siegel. Dieses mittelalterliche Siegel war das „Markenzeichen“ des friesischen Bundes freier Landgemeinden, zu denen auch die Regionen des heutigen Ostfrieslands zählten. Die Friesische Freiheit galt in Tota Frisia, ganz Friesland, einem Gebiet, das sich vom westfriesischen Ijsselmeer bis zum Land Wursten rechts der Weser erstreckte. Dieser Landfriedensbund der sogenannten symbolischen Sieben Seelande verwendete zur Beglaubigung ihrer Verträge ein eigenes Siegel. Es signalisiert den Willen, Frieden und Freiheit nach innen und außen gemeinsam zu bewahren.
Das Totius-Frisiae-Siegel stammt wahrscheinlich aus der Zeit um 1300 und zeigt die Schutzpatronin aller Friesen, die Jungfrau Maria mit dem Jesusknaben als Himmelskönigin auf einem Thron, zwischen zwei friesischen Kriegern. Die Umschrift lautet: HIS SIGNIS SVA FRISIA TOTA CVI CVM P[RO]LE PIA SIT CLEMENS VIRGO MARIA: Durch dieses Zeichen erfüllt ganz Friesland, dem die Jungfrau Maria mit dem göttlichen Knaben gnädig sei, seine Zusagen.
Großes ostfriesisches Siegel (Totius-Frisiae-Siegel), Gipsabdruck (Original Staatsarchiv Bremen), 1324
Das Wappen, das die Ostfriesischen Landstände 1678 von Kaiser Leopold I. erhielten (vgl. Kapitel 2), zeigt einen Friesen in Rüstung auf einem Hügel, den der Historiker Ubbo Emmius auf dem Upstalsboomsgelände bei Aurich verortete. Hier versammelten sich vom 11. bis 14. Jahrhundert Vertreter des Landfriedensbundes, der Sieben Seelande, um Recht zu sprechen und ihre Freiheit sicherzustellen: Als „Freie Friesen“ leisteten sie keine Heerfolge und waren nicht Teil des europäischen Feudalsystems.
Ende des 18. Jahrhunderts beschäftigte sich die Ostfriesische Landschaft, als Rechtsnachfolgerin der ostfriesischen Landstände, mit der Idee, auf dem Upstalsboom-Hügel ein Denkmal zu errichten, weil hier die Friesische Freiheit im Sinne eines „demokratischen Volksstaats“ symbolisiert sei.
1815 schlug der Auricher Kaufmann und Architekt C. B. Meyer vor, an dieser Stelle einen Obelisken in Gedenken an die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gefallenen Ostfriesen zu errichten. 1833 entstand schließlich das Upstalsboom-Denkmal in Form einer Pyramide.
Das identitätsstiftende Motiv des „Gewaffneten“, des Freien Friesen neben der Upstalsboom-Pyramide findet sich heute stilisiert auf touristischen Autobahnschildern (A 28 bei Filsum und A 31 bei Neermoor), Aufklebern und Postkarten. Es visualisiert die Idee, dass Ostfriesland „Heel wat besünners“ ist.
Kupferstich C. B. Meyer vom Upstalsboom, 1815 NLA AU Rep. 243 A 77 II
Ostfriesland – Friesische Freiheit, Postkarte (Ostfriesische Landschaft, Gestaltung BeBold) NLA AU Rep. 243 A 5529
"Heel wat besünners" wurde aus Anlass der vor 150 Jahren, am 9. April 1872, erfolgten Gründung des Königlich Preußischen Staatsarchivs in Aurich im Niedersächsischen Landesarchivs in Aurich gezeigt und anschließend virtuell aufbereitet.
Konzeption:
Astrid Parisius (NLA - Abteilung Aurich)
Technische Umsetzung:
Christian Manuel Meyer (NLA - Abteilung Zentrale Dienste)